Jahrgang 12 - n. 1


DER GARTEN DER ERINNERUNGEN

Wenn auch das letzte Blatt der lang bewunderten Blume gefallen sein wird, wird es nicht die eisige Leere, sondern die Süße der Erinnerung geben. Einer ausgeglichenen und feierlichen Erinnerung, die unsere Herzen weiter füllen wird.

Es ist der immerwährende Lebenszyklus.

Seit eh und je hat der Mensch in seiner ständigen Evolution das Geheimnis des Ablebens angehen müssen, und hat ihm tiefste Bedeutungen durch Bekundungen von Liebe und Sensibilität gegeben.

Die lange Geschichte der Bestattungsfeierlichkeiten sind der Stolz der Zivilisationen. Die verschiedenen Rituale sind die Wiegen, in denen die Bevölkerungen gewachsen sind, indem sie von Generation zu Generation ihre Kultur, ihre Gefühle und ihr Wesen weitergegeben haben. Vom Äquator bis zu den Polen unterscheiden sich die Traditionen, nicht so sehr durch die klimatischen Bedingungen, sondern durch ihre unterschiedlichen weltlichen und religiösen Anschauungen.

Wenn wir von eigenartigen Bestattungsfeierlichkeiten von fernen Bevölkerungen absehen, die für uns undenkbar, aber immer und jedenfalls hoch respektvoll sind, sind Beerdigung und Feuerbestattung die hauptsächlichen Modalitäten, womit  die globalisierte Welt vom lieben Verstorbenen Abschied nimmt.

Die Einäscherung wird heute gleich wie die Beerdigung verwendet und die Tabus, die jahrhundertlang dagegen waren, sind endgültig gefallen.

Sie ist endgültig, zum Unterschied zur Beerdigung, die mit der Zeit die Ausgrabung und die Einäscherung der Reste verlangt.

Das Feuer symbolisiert, durch die rege und warme Flamme, den letzten Mutterleib, in dem sich der Leichnam auflöst, und die  noch lauwarme Asche wird nachher für die ewige Ruhe in die Urne aufgenommen.

Dieses wunderbare Konzept kann durch die Möglichkeit ergänzt werden, zurück zur Natur zu kehren, indem die Asche verstreut werden kann. Staub zurück zu Staub. Grandioses Konzept von tiefer Sensibilität.

Der Brauch der Verstreuung, die in Ländern stark verbreitet ist, in welchen die Feuerbestattung seit langem Realität ist, weist eine tiefe Ethik auf.

So wie die Blume aus der Erde wieder wächst, so symbolisiert die Verstreuung die Rückkehr zum Leben durch die Natur: Das Wiederaufwachen eines Körpers durch die Großartigkeit des immerwährenden natürlichen Zyklus der Ereignisse.

Sie ist kein religiöses Konzept, sondern eine Auffassung, die parallel zu jeder Religion auftreten kann. Sie ist eine Ethik, die den Gläubigen so wie den Nichtgläubigen befriedigt.

Die Rückkehr zur Umgebung wo man die besten Jahre des Lebens verbracht hat, wie zum Meer, den Bergen, dem Land, dem See oder zu jedem noch tief geliebten Ort, gibt Frieden und Ausgeglichenheit. Wer zu Lebzeiten diesen Wunsch ausspricht, tritt mit einer anderen Vision und mit einer besonderen Ausgeglichenheit dem Tode entgegen.

Auch für Verwandte und Freunde ist die Rückkehr zum Ort der Verstreuung der Asche ihres Geliebten eine Zeit der Besinnung und sie werden in der Luft, unter den Düften der Natur, auch die unantastbare Präsenz von jenem, der zu Lebzeiten ihnen nahe stand, spüren.

Eine andere Perspektive bietet die Möglichkeit der Verstreuung an den in den Friedhöfen vorgesehenen Stellen an, welche „Garten der Erinnerung” oder auch „Rosengarten der Erinnerungen“ benannt werden.

Eine Stelle, die mit einer höchst bedeutenden symbolischen Funktion konzipiert werden muss und nicht bloß als eine Entsorgungsstelle.

Der “Garten der Erinnerung”, wenn er mit der Sensibilität, welche nur die Feuerbestattungsanhänger durch ihre langjährige Kultur aufweisen, gedacht, projektiert und realisiert wird, wird eine Synthese der Natur und meidet die Verstreuung in Stellen die, auch wenn sie autorisiert sind, manchmal als eine bloße Art von Zurschaustellung gesehen werden können.

Der “Rosengarten” soll ein echter sein und nicht bloß ein Betonbehälter, in den die Asche gestreut werden soll.

Oft bereiten die öffentlichen Verwaltungen, aus Einfachheit oder Unwissenheit, bescheidene Gegenden in den Friedhöfen vor, die dafür vorgesehen sind.

Die Feier der Verstreuung, religiös sowie zivil, verlangt viel mehr als das, gerade weil sie den tiefstgreifenden Moment dieser uralten Philosophie darstellt: Zurück zur Erde, um bei ihren lebhafteren und bunteren Kundtaten dabei zu sein. Der Rosengarten ist der höchste Ausdruck dieser Sensibilität.

Es ist tiefgreifende Symbolik, die Asche des eigenen Geliebten der mit Rosen bestreuten Erde anzubieten. Die Rückkehr zur Verstreuungsstelle für einen Moment der Meditation während eines Spazierganges durch unzählige duftende Blumen hat die Bedeutung, den Wert der Erinnerungen zu verkosten, die Natur zu lieben und in dieser das angenehme Bild von jenen, die uns verlassen haben, wieder zu finden.

Das ist tiefe Ethik; es wäre gut, wenn öffentliche Verwalter sowie Vertreter der verschiedenen Religionen sich endlich dessen bewusst werden würden und ernsthaft die vielsagenden ethischen Bedeutungen  vertiefen würden, welche die Aschenverstreuung in ihrer langen kulturellen Geschichte beinhaltet und ausdrückt.

Enrico Farina

 

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